Das Ritual des Schwurwassers
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Literatur
Gusti Njoman Pandji Tisna
(1908-78), der aus der königlichen Familie von Buleleng I stammt,
gehört zur ersten Generation moderner indonesischer Schriftsteller.
»Ni Rawit« (1935) erzählt die Geschichte einer
Balinesin im 19. Jahrhundert, einer Kupplerin und Sklavenhändlerin.
In dieser Epoche hatten die Niederländer Bali noch nicht
vollständig unterworfen, verfügten aber bereits über einen Agenten
namens Purre Dubois in Kuta, der beauftragt war, Batavia (das
heutige Jakarta) mit Sklaven zu versorgen. Die Zeremonie, von der
im Text die Rede ist (cor oder macor) garantierte die Gültigkeit
und Wahrheit eines Schwurs. Das Ritual wird noch immer praktiziert,
etwa um Streitigkeiten um Grund und Boden zu schlichten.
"Die beiden Männer gingen auf den
Tempel zu, dabei sich nach links und rechts umschauend, ab der
Mann, den sie suchten, unter den Passanten sei. Als sie ange-
kommen waren, suchten sie sich einen Platz in einer vor Blicken
geschützten Ecke. Mit dem voranschreitenden Tag strömten auch immer
mehr Menschen herbei. Bald erschien auch Anak Agung Made Pamecutan,
der Herr des westlichen Teils des Reiches von Badung. Nachdem er
die lokalen Würdenträger begrüßt hatte, ließ er alle anwesenden
Personen im Tempel zusammenkommen und begann sie zu befragen. Aber
niemand wollte zugeben, ein Haus niedergebrannt zu haben, und
weniger noch den Besitz des Hafenkommandanten oder eine Kassette
von einem chinesischen Händler gestohlen zu haben. Wütend ordnete
der Fürst an, daß alle Personen, die älter als zehn Jahre waren,
cor, das Schwurwasser, trinken sollten, um zu beweisen, daß sie
unschuldig seien. Der hohe Brahmana-Priester, aus dessen
Gesichtsausdruck-außerordentliche Mißbilligung sprach, fügte hinzu,
das Dorf Kuta sei verschmutzt und vergiftet. Die Götter, sagte er,
hätten Kuta den Rücken gekehrt, verjagt vom Lärm und der ständigen
Unordnung, von den Verbrechen, die von kleinen Gaunereien,bis zu
schweren Diebstählen reichten, ebenso wie von den alltäglichen
Schlägereien und . den häufigen Morden. Auch wenn schon diese Worte
Furcht in ihre Herzen senkten, so würde doch nur durch das
cor-Trinken Kuta gereinigt, von den Dämonen und den bösen Geistern,
die sich hier eingenistet hatten, befreit werden können. Jeder
einzelne der versammelten Menschen trat vor, um seinen Schluck cor
aus einem Banian-Blatt zu trinken. I Kerta und sein Freund
beobachteten ihre Gesich- ter. Aber I Lempod war nirgendwo zu
erblicken. Schließlich tranken auch sie, setzten sich dann wieder,
nahe beim Alarmgong des Dorfes und unweit von Anak Agung und
Monsieur Dubois. Einer nach dem anderen tranken die Dorfbewohner
ihren Teil cor und kehrten nach Hause zurück. Nachdem das Ritual
beendet war, gab Nang Rame I Kerta ein Zeichen, daß auch sie nach
Hause zurückkehren dürften, denn offensichtlich war der Mann, den
sie suchten, nicht unter denjenigen, die an diesem Tag zum Tempel
gekommen waren."
I Gusti Njoman Pandji Tisna, Nl Rawit (1935), Balai Pustaka, Jakarta, übersetzt von Gabriele Kalmbach
I Gusti Njoman Pandji Tisna, Nl Rawit (1935), Balai Pustaka, Jakarta, übersetzt von Gabriele Kalmbach