Die Landschaft
// Abgelegt in: Bali
Literatur

Doch besitzt auch dieses Buch alle Elemente eines spannenden exotischen Romans: das balinesische, als paradiesisch geschilderte Milieu und das tragische Ende des Königreichs von Badung. Und da die historischen Hintergründe und Milieuschilderungen der 1906 angesiedelten Handlung von Vicky Baum sorgfältig recherchiert wurden, hat auch 100 Jahre später das Buch nichts an seiner Bedeutung verloren.
"Das Leben von Bali zog an ihnen
vorbei. Reisfelder in gerundeten Terrassen taten sich auf und
falteten sich wieder zusammen und glitten zu den tiefen Schluchten
hinab, in denen Flüsse über Felsen strömten. Palmenhaine krönten
die Bergrücken, die in Schichten hintereinanderlagen, bis zum
Großen Berg, dessen Gipfel zwei langgestreckte, weiße Wolken
verhüllten. Die riesigen, dunklen Kuppeln der Wairinginbäume traten
aus dem Edelsteingrün der Felder, und grau-rote Tempelpfosten
standen unter ihnen auf. Quellen schossen aus dem Grund und
strömten in Bambusrohre ein, um zu den Sawahs geleitet zu werden.
Bambusgebüsche schlossen sich in schönen Bogen über schmalen Bächen
zusammen, und 'darunter war es kühl und dunkel und geheimnisvoll.
Graue Büffel schliefen in den Wassergräben hinter den Dörfern.
Kinder mit großen Hüten und nackten Gliedern trieben Entenherden
über die Feldraine. Heubündel wanderten dahin, so groß, daß man die
Männer, die sie trugen, nicht sehen konnte. Greise mit Gesichtern
wie Tanzmasken marschierten dahin mit Stöcken in den Händen und der
Sirihtasche im Gürtel. Frauen kamen vom Feld und vom Markt, sie
trugen Körbe auf dem Kopf oder Reisgarben oder Türme von
Kokosnüssen oder endlose Lasten von Tonkrügen. Ihr Gang war steil
und gleichmäßig geworden durch das Tragen, und ihre Brüste und
Schultern waren zart und kraftvoll zugleich. Hinter ihnen folgten
die Töchter mit immer kleineren Bürden auf dem Kopf, und die
Sechsjährigen balancierten nur eine halbe Kokosnußschale, mit
Wasser gefüllt, über ihren ernsthaften kleinen Stirnen, um das
Tragen rechtzeitig zu erlernen. An den Feldrändern hockten Bauern
und rasteten von der Arbeit, und in den Bächen standen andere und
wuschen sich und ihre Kühe. Und alle diese Menschen waren schön und
stark und ebenmäßig, und in ihren Gesichtern standen Sanftheit und
Vertrauen und Freundlichkeit. Die Landschaft aber wurde schöner und
schöner, je höher sie kamen, mit den tausend Spiegeln der
bewässerten Reisfelder in den Tälern und den seidenen Abhängen des
Alang-Alang-Grases; die wie bewegtes Wasser aussahen, wenn der Wind
darüberstrich. Und mit den köstlichen Linien der Hügel und Berge
und mit kleinen Inseln, die aus der Hochfläche aufstiegen, gekrönt
jedes Inselchen von seinem Tempel unter dem Wairinginbaum.
Ungezählte Vögel sangen, und rotbrüstige Bergpapageien flitzten
über den Weg. Weiße Falken mit braunen Schwingen hingen groß in der
Luft, und immer wieder wechselte der Wald, mit seinem Dunkel und
seinen Lianengehängen und dem Gurren der großen Wildtauben, ab mit
Dörfern, in denen Menschen vor ihren Pforten kauerten und großäugig
auf die fremden Reiter schauten. Über den begrasten Dorfstraßen
schlossen die Fruchtbäume und Palmen der Höfe sich zusammen, und an
den Wegkreuzungen standen die steinernen Gestalten von Dämonen, um
den Weg der Wanderer zu beschützen. Und überall, überall war die
Stimme des Wassers zu hören, die gesegnete Stimme, die die Insel
mit Fruchtbarkeit überfloß. [...] Denn so hatten die Götter es
bestimmt: daß die Insel ihnen gehörte und den Menschen nur als
Leihgabe gegeben war, damit sie den Boden fruchtbar machen sollten
und die Erde reich genug, um alle zu ernähren und Feste zu feiern
und des Lebens froh zu sein."
Vicki Baum, Liebe UND Tod AUF Bali (1937), Kiepenheuer & Witsch, Köln 1965, 1984
Vicki Baum, Liebe UND Tod AUF Bali (1937), Kiepenheuer & Witsch, Köln 1965, 1984